Sonntag, 15. Januar 2012
Die Heilpraktiker und die Ärzte
Als ich mich 1960 als Heilpraktiker in einer bayerischen Kleinstadt niederließ, galt ich für die dortigen Ärzte als ein weiterer Quacksalber, von denen es an diesem Ort schon zwei gab. Das Verhältnis zwischen Ärzten und Heilpraktikern war zu dieser Zeit sehr spannungsgeladen. Wir waren in ihren Augen ungebildete Kurpfuscher, die sich durch eine Kurzausbildung ein Privileg erschlichen hatten, das nur Akademikern zukam. Sie pochten auf ihre zwölf Semester Medizinstudium, das mörderisch schwere Staatsexamen, die schlechtbezahlten Praktika in den Kliniken, den kostspieligen Aufbau einer eigenen Praxis. Wie leicht hat es dagegen der Heilpraktiker! Er braucht bestenfalls zwei bis drei Jahre Ausbildung an einer verbandseigenen, privaten Fachschule, schlimmstenfalls kommt er von einer der vielen, inoffiziellen Wochenendschulen und hat mit deren Hilfe in einem einzigen Jahr seine amtsärztliche Zulassung geschafft. Es gab damals viele Ärzte, die sofort ausrasteten, wenn sie das Wort "Heilpraktiker" nur hörten. Es fiel ihnen dabei sofort eine Flut von Vorurteilen ein, vor allem sarkastische Abwertungen der Homöopathie und die Vorstellung von einem "Wurzelsepp" und "Kräuterapostel", der ausschließlich vegetarisch lebt und ständig Holzsandalen trägt. Oder der Heilpraktiker galt als Hellseher, der mit Lupe und Taschenlampe seinen Kranken in die Augen sieht und blitzschnell Ischias, Gallensteine, Magengeschwüre und Krebs diagnostiizert. - Das Verhältnis hat sich im Lauf der Zeit sichtlich zum Besseren gewandelt. Es kommt immer häufiger vor, dass Ärzte, die in ihrer Nähe einen tüchtigen Chiropraktiker, Reflexzonenbehandler oder Akupunkteur haben, manche Patienten hinter vorgehaltener Hand zu diesen Heilpraktikern schicken. Ärzte werden uns zwar nie auf Augenhöhe begegnen, das läßt der Akademikerstatus gar nicht zu, doch es ist mit gegenseitigem Respekt schon viel gewonnen.
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