Sonntag, 5. Februar 2012

Die Amtsarztprüfung

Die Hauptaussage des Heilpraktikergesetzes ist in dem lapidaren Satz zusammengefasst: "Der Heilpraktiker darf nicht zum Schaden der Volksgesundheit werden." In der Praxis sieht die Durchsetzung dieser Minimalforderung so aus, dass wir Angehörigen dieses Berufes unsere gesetzlich vorgegebenen Grenzen kennen und uns gründliche Kenntnisse der medizinischen Wissenschaften aneignen müssen. Kontrollorgan für diesen Nachweis ist nach der Fachschul-Diplomierung das Gesundheitsamt des gegenwärtigen Wohnortes des Anwärters. Für die Form dieses Examens legt das Gesetz einen bestimmten Rahmen fest. Die Prüfungskommission besteht aus dem Amtsarzt, evtl. einem zweiten Arzt, dem Protokollführer und den Beisitzern, zwei Heilpraktikern, die nicht aus dem künftigen Praxisort des Kandidaten stammen dürfen. - Die Amtsärzte der Kleinstädte sind ziemlich autonom, die Aufsichtsbehörde ist in weiter Ferne und auch nicht brennend daran interessiert, ihren Gesundheitsämtern bei der Durchführung der Prüfungen streng auf die Finger zu schauen. Das zuständige Amt meiner Heimatstadt wurde längere Zeit von Hp.-Anwärtern förmlich überlaufen, weil es in dem Ruf stand, 98 % der Kandidaten auf äußerst tolerante Weise durchrutschen zu lassen. Der Amtsarzt hat beträchtlichen Freiraum, die etwa einstündige schriftliche und einstündige mündliche Prüfung nach eigenem Gutdünken zu gestalten. Heilpraktikerfeindliche Amtsärzte sind erfahrungsgemäß äußerst pedantisch, heilpraktikerfreundliche entgegenkommend und verständnisvoll. Die Gleichgültigen prüfen großzügig mit leicht zynischem Unterton nach der Devise: Je unwissender die Heilpraktiker sind, desto eher rotten sie sich selber aus. Die Amtsärzte bedienen sich auch der beiden Heilpraktiker, die als Beisitzer fungieren, auf eigenwillige Weise. Sie können ihnen das Recht einräumen, die Kandidaten in den naturheilkundlichen Fächern, die in den Berufsfachschulen gelehrt werden, ausführlich zu examinieren. Es kann aber auch sein, dass sie trotz Widerspruch die Beisitzer als Statisten betrachten und tatsächlich nur dabeisitzen lassen. Wohlwollen und Entgegenkommen mancher Amtsärzte bedeuten keine respektvolle Aufwertung des Heilpraktikerberufes, sondern begünstigen ausgerechnet die von unserem Berufsverband strikt abgelehnten Fernkurse und Schnellausbildungen. Deren Teilnehmer werden zwar von ihren "Lehrinstituten" für die allgemeinen Bedürfnisse der staatlichen Überprüfung gedrillt, doch die eigentlichen Naturheilfächer können im Eiltempo nur gestreift werden. Man interessiert die Schüler deshalb für leicht erlernbare elektronische Diagnose- und Therapieformen und erspart ihnen die Aneignung eines umfangreichen naturheilkundlichen Arzneimittelschatzes durch das Hochjubeln stark reduzierter Heilmittelsysteme wie der Bachblüten, Primitivstformen der Homöopathie oder der Schüsslersalze. Die neuen Kollegen, die aus diesen Instituten hervorgehen, sind in der Praxis dann vor allem bestrebt, einen Anhängerstamm um sich zu scharen, den sie als Weisheitslehrer mit einer Mischung aus exotischer, pseudopsychologischer und hausgemachter Philosophie betreuen. Diese Ignoranz, gepaart mit therapeutischer Sektiererei, wird vermutlich für die Zukunft des Heilpraktikerstandes verhängnisvoller sein als die Abneigung der Ärzteverbände gegen den unakademischen Konkurrenten.

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