Sonntag, 11. März 2012
Josef Angerer
Die bayrischen Heilpraktiker gaben ihrer Fachschule in München seinen Namen. Daraus lässt sich die Wertschätzung ermessen, die sie seiner Person und seinem Werk entgegenbrachten. Angerer lebte von 1907 bis 1994. Er war katholischer Priester, bis den Siebenundzwanzigjährigen die Faszination der Augendiagnostik und das unstillbare Verlangen nach dem Dienst an den körperlich Kranken von seiner Pfarrgemeinde in die Fachschule der Heilpraktiker rief, um deren Kunst zu erlernen. Er hat sich anscheinend in Güte mit seiner Kirche geeinigt, jedenfalls ließ er sich nicht in den Laienstand zurückversetzen, sondern kam den Minimalpflichten eines katholischen Priesters, dem täglichen Zelebrieren einer heiligen Messe und dem Breviergebet bis an sein Lebensende nach. Er besaß zuerst in seiner Heimatstadt Passau und dann in München eine Heilpraxis, die wie ein Magnet Kranke aus aller Welt anzog. Mit unerschöpflicher Arbeitskraft gesegnet, praktizierte er fünfzig Jahre lang, war fünfzehn Jahre Präsident des Fachverbandes deutscher Heilpraktiker, fünf Jahre Lehrer der Schule in der Schwabinger Giselastraße. Er schrieb acht Bücher und sehr viele Fachartikel, hielt unermüdlich Vorträge und missionierte Deutschland für die Naturheilkunde. Er ließ sich von einer Apotheke eigene Arzneimittel herstellen, auch große homöopathisch-pharmazeutische Firmen suchten seinen Rat bei der Entwicklung neuer Medikamente. Angerer verstand sich als Lehrer einer gesunden Lebensweise und hat dies auch immer seinen Schülern als Pflicht aufgegeben. Der Heilpraktiker soll vor dem Missbrauch von Genussmitteln warnen, vor Umweltverschmutzung, Elektrosmog, vor Strahlenbelastungen. Er ließ Listen drucken und verteilte sie an seine Patienten, in denen minutiös alle chemischen Beifügungen, Farbstoffe, Konservierungsmittel und Geschmacksverbesserer aufgeführt waren, die heutzutage in jedem Brot, jeder Wurst, in Konserven und jedem Fertiggericht enthalten sind und beim Verzehr den menschlichen Zellen Fehlinformationen und falsche Signale übermitteln, die zu Entgleisungen der Zellstruktur bis zur Entartung in der Krebsgeschwulst führen können. - In Angerers Praxis ging es turbulent zu. Die Patienten kamen omnibusweise zu ihm, man musste meist einige Monate warten, bis man einen Termin bei ihm erhielt. Obwohl wegen des Andrangs nur kurze Zeit für jeden Patienten zur Verfügung stand, war diese Zeit randvoll ausgefüllt mit engagierter Zuwendung. Bei ihm war der Kranke nicht Automatismen technischer Geräte ausgeliefert, die aus elektronischen Befunden Diagnose und Behandlungsplan errechnen. Bei Angerer stand das menschliche Interesse für den Kranken, das Gespräch und die Information über die Symptome im Vordergrund. Durch seinen genialen Blick in die Augen der Patienten erhielt er je nach Krankheitsfall sehr rasch Aufschluss über die optimalen Behandlungsmöglichkeiten in Form einer chiropraktischen Reposition, der Beseitigung eines Herdgeschehens, einer Ausleitungskur oder der langfristigen medikamentösen Unterstützung schwacher, geschädigter Organe. In der Zeitschrift "Methodik und Grenzen der Augendiagnostik" gab er einen Einblick in seine Weltanschauung. In beachtlicher Toleranz scheute er nicht die Einbeziehung okkulten Wissens, selbst der Radiästhesie, wenn es um Wahrheit und Erkenntnis ging. Für ihn stand fest, dass zwar Leib und Seele eine Einheit bilden, dass aber physischer Leib und Seelenleib eigenen Gesetzen gehorchen. Für die Erkenntnis des physischen Leibes war für ihn die Menschenkunde der Astrologie, die Planeten- und Tierkreisbeziehungen der Organsysteme ein brauchbarer Leitfaden. Für den Seelenleib sah er in den Chakras als den Ein- und Ausgangspforten des Energieflusses die Möglichkeiten therapeutischen Einwirkens. Angerer erwähnte in seinen Vorträgen häufig Hildegard von Bingen. Er kannte ihre visionären Schriften "Wisse die Wege", "Welt und Mensch" und "Der Mensch in der Verantwortung" mit ihren spirituellen Ausdeutungen des sinnvollen oder gestörten Zusammenspiels von Leib und Seele. In Hildegards Riesenwerk gibt es für jede Frage nach Gesundheit und Krankheit, dem Sinn der Schöpfung, der Sündenverstrickung des Menschen und die Wege zu seiner Rettung erleuchtete und erleuchtende Antworten. Diese universelle Frau des Mittelalters hat sichtlich Angerers eigene moderne Ganzheitsschau der Heilkunst in herausragendem Maße beeinflusst.
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